Nicole Althaus
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Im Quotenwunderland - annabelle 5/2010
annabelle 5/2010
Text: Nicole Althaus
Fotos: Anne Gabriel-Jürgens
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«Im Quotenwunderland»

Als Norwegen 2003 die Frauenquote für Verwaltungsräte beschloss, schüttelte der Rest der Welt den Kopf: Ein wirtschaftlicher Unsinn! Heute erweist sich der Entscheid als Wettbewerbsvorteil - und der Rest der Welt reibt sich verwundert die Augen.

Es war einmal ein Mann, der beschloss eines kalten Februarmorgens im Jahr 2002, dass es so nicht weitergehen könne in Norwegen. Vielleicht lag das Eis auf den Strassen rund um das Parlament zentimeterdick, so wie heute. Sicher aber war es draussen noch dunkel, als der Mann die Gedanken in seinem Kopf zu markanten Sätzen sortierte. Zu Sätzen, welche die nächste Generation von Norwegerinnen und Norwegern in den Geschichtsbüchern wird nachlesen können: Wir können es uns nicht länger leisten, die Frauen, die wir für Milliarden Kronen ausbilden, in den unteren Stockwerken der Büropaläste tippen zu lassen. In unseren Verwaltungsräten sitzen nur sechs Prozent Frauen, in den Chefetagen nicht viele mehr. Der Return on Investment ist miserabel.

So formulierte es in Gedanken der Mann, der damals Wirtschaftsminister war, der konservativen Partei Høyre angehörte und selbst in einigen Verwaltungsräten von Unternehmen sass, der gern segeln ging und jagen und der wusste, dass die Kandidaten für solche Mandate nicht im Büro, sondern auf dem Boot oder dem Elchfell im Jagdhaus rekrutiert wurden. Und dass sich daran nicht das kleinste bisschen ändern würde, wenn man seinen Kameraden, den Old Boys, nicht vorschreiben würde, wie sie künftig die Plätze zu besetzen hätten.

Er beschloss, ein Gesetz zur Diversifizierung der Verwaltungsräte zu erlassen, also eine Mindestvertretung beider Geschlechter von vierzig Prozent zu erzwingen. Firmen, die binnen fünf Jahren das Ziel nicht erreichten, sollten von der Börse verbannt werden. Und weil der Mann konservativ genug war, um zu wissen, dass seine Partei nie und nimmer einverstanden sein würde mit dieser Idee, die nach Feminismus roch, und Macho genug, um den «Gender-Tanten» der linken Parteien gern eins auszuwischen, erzählte er niemandem von seinem Plan. Sondern lud an jenem kalten Februarmorgen einen Journalisten der grössten Tageszeitung Oslos ein und liess die Bombe platzen. Das Interview, das man am nächsten Tag lesen konnte, hat jahrelang zu reden gegeben. Es hat die Wirtschaftseliten von Amerika bis nach Korea erschüttert. In Norwegen aber hat der Vorstoss, den die Linken, wäre er von ihnen gekommen, nie hätten durchboxen können und den die Rechten, weil er von einem der Ihren kam, 2003 murrend durchgewinkt hatten, die Führungsgremien radikal erneuert: Heute, sieben Jahre später, sitzen 44 Prozent Frauen in den Verwaltungsräten von börsenkotierten Firmen. Selbst die Geschäftsherren im «Christiania», dem nostalgischen Feinschmeckerlokal gleich neben dem Parlament, sagen, dass der Weg zwar falsch war, das Resultat aber ganz erfreulich sei.

Was wie ein Märchen klingt, ist eine wahre Geschichte, die sich die Norweger fast so gern erzählen wie die Abenteuer von Pippi Langstrumpf. Und genau wie das schwedische Mädchen hat der Mann, der Ansgar Gabrielsen heisst, auf sämtliche Businesswahrheiten, die seit Jahrzehnten kursieren, gepfiffen und sich die «Welt gemacht, wie sie ihm gefällt».

Ansgar Gabrielsen, sind Sie ein Feminist?

«Neeei», sagt er lachend und wischt dieses Wort mit den Krümeln seines Brötchens unsanft vom Tisch, «Ich bin Realist.» Vor den Fenstern der Cafeteria im Storting, dem Parlament, geht gerade die Sonne auf, milchig und kraftlos schiebt sie sich über den Horizont. Es ist kurz nach neun, und Ansgar Gabrielsen sucht nach einer didaktischen Methode, die Sachlage einem Nichtnorweger begreiflich zu machen, einer Schweizerin gar, die, «man mag es gar nicht glauben, erst seit 1971 abstimmen darf». Also zeigt er nach draussen: «Wir haben hier lange, dunkle, kalte Winter. Das lässt sich nun mal nicht wegdiskutieren. Genauso wenig wie die Tatsache, dass eine grosse Mehrheit der Uniabgänger in diesem Land heute weiblich ist. Also müssen wir damit leben, verstehen Sie? Unsere Wirtschaft braucht diese Elite, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und wenn die Frauen es nicht aus eigener Kraft in die Teppichetage schaffen, müssen wir ihnen eben nachhelfen. Ich bin kein Frauenförderer. Ich bin Wirtschaftsförderer.»

Und ein brillanter Selbstvermarkter. Noch heute reibt sich Ansgar Gabrielsen in diebischer Freude über seinen «kleinen Putsch» die Hände. Immerhin hat dieser ihm in seinem Heimatland eine Nomination für den Gleichstellungs-Award eingebracht. Seither wird er im gleichen Atemzug mit Gro Harlem Brundtland genannt, der ehemaligen Ministerpräsidentin und weiblichen Lichtfigur des Landes.

auch das Ausland interessiert sich für den Mann, der die Quote salonfähig machte. Ende Januar porträtierte die BBC den 54-Jährigen, das koreanische TV war da, der US-Sender NBC hat ihn interviewt, Nicolas Sarkozy schickte eine Delegation vorbei. Alle hatten sie dieselben Fragen: Funktioniert das wirklich? Und: Darf sich der Staat überhaupt so stark in den Markt einmischen?

Das kategorische Nein der Marktwirtschaftsgläubigen hat nach der Finanzkrise viel von seiner Autorität verloren. Und als linke Schnapsidee lässt sich die Quote auch nicht mehr abtun, seit ein konservativer Mann sie lancierte. Offenbar mit Erfolg: Zwar ist noch unklar, welchen Einfluss das Gesetz auf die Firmenergebnisse hat (erste Studienergebnisse werden Mitte Jahr erwartet), aber der befürchtete Börsenabgang in Massen mangels qualifizierter Frauen ist ausgeblieben. Und von wenigen Ausnahmen abgesehen ist das Feedback auf die gemischten Gremien positiv. Nun diskutiert man die Quote in Schweden, Grossbritannien, Dänemark, Deutschland und Spanien. Frankreichs Parlament debattierte im Januar über einen entsprechenden Vorstoss der Mehrheitspartei, hier zu Lande ist eine SP-Motion hängig. Bei aller Verschiedenheit, eins haben die Länder gemeinsam: Frauen sind in Führungsgremien massiv untervertreten. Und all die Frauenförderungsprogramme haben daran nichts geändert. Seit aber selbst Management-Beratungsfirmen wie McKinsey für die Wettbewerbsfähigkeit des künftigen europäischen Markts schwarz sehen, wenn er es verpasst, brachliegendes weibliches Potenzial auszuschöpfen, sind Politiker hellhörig geworden.

Ansgar Gabrielsen weiss, warum plötzlich ganz Europa neugierig nach dem norwegischen Rezept schielt. Und er mischt lange genug in den Teppichetagen mit, um nicht blauäugig ein Rezept zu empfehlen, wenn die wichtigsten Zutaten dafür fehlen. Also beantwortet er die Fragen so: «Nicht alles, was bei uns funktioniert, taugt auch anderswo. Man kann schwerlich vierzig Prozent Frauen in die Verwaltungsräte eines Landes hieven, das noch allen Ernstes darüber diskutiert, ob auch ein CEO Zeit hat, seine Kinder von der Krippe abzuholen.»

Ist Norwegen gesellschaftlich dem Rest der Welt also einfach ein Stück voraus? Wenn ja, warum ist das so? Und welchen Preis hat man dafür bezahlt?

Tatsächlich liegt Norwegen seit Jahren auf Platz eins oder zwei, wenn die Uno die Länder der Welt nach der Gleichberechtigung der Geschlechter sortiert. Im Global Gender Gap Report 2007 hagelte es Bestnoten bei allen untersuchten Merkmalen: beim politischen Einfluss, bei der Integration ins Arbeitsleben, bei Lohngleichheit, bei der Ausbildung, sogar beim Frauenanteil in technischen Branchen. Zum Vergleich: Die Schweiz rangierte auf Platz 40. Dazu hat Norwegen mit 1.8 Kindern pro Frau eine der höchsten Geburtenraten in Europa. Irgendetwas muss in diesem Land anders laufen.

Auf den ersten Blick sind die Unterschiede nicht auszumachen. Die Musterschülerin in Sachen Emanzipation ist der Schweiz nicht unähnlich: Das Land ist reich, sicher, politisch neutral und steht abseits der EU. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Strassen der Hauptstadt sind sauber, die Fassaden der herrschaftlichen Stadthäuser in tadellosem Zustand, die Schaufenster edel und die Preise astronomisch. Man hat nicht viel zu klagen in diesem Land, das auf Erdöl sitzt und stets mit der Schweiz um die Goldmedaille für Lebensqualität rivalisiert.

Und man tut es auch nicht. Das ist vielleicht der einzige Unterschied, der sofort auffällt: der verblüffende Pragmatismus, der allgegenwärtig ist. Rauchverbot? Dann bewirtet man die Gäste eben in Openair-Bars und serviert mit dem Bier warme Wolldecken und Pelzmützen. Auch wenn der Tag so kalt und starr ist, als hätte man ihn eben aufgetaut. Die Bahn hat sich wegen vereister Gleise verspätet? So schnallt man sich halt für den Weg zur Arbeit kurzerhand die Langlaufski an. Oder loggt sich von zu Hause ein. Eine Diktatur der Präsenzzeiten, wie man sie im Arbeitsalltag weiter südlich kennt, liess sich bei diesen Polarwintern gar nie installieren.

Das hat den arbeitstätigen Müttern sicher nicht geschadet. Ein Arbeitstag in Oslo ist kürzer als anderswo. Nina Solli zum Beispiel taucht erst gegen zehn Uhr im Sitzungszimmer des norwegischen Unternehmerverbands NHO auf, eine gute halbe Stunde später als abgemacht und nur, weil sie diesen Pressetermin hat. Sonst hätte sie sich den Stress mit dem Verkehrschaos erspart. Schliesslich muss die Managerin des Female Network schon nachmittags um vier wieder weg, um die Kinder von der Krippe abzuholen. Seit Ansgar Gabrielsens Bubenstreich kann in diesem Land nach 16 Uhr kaum mehr eine Sitzung anberaumt werden. Nicht weil Norweger fauler sind als die Einwohner anderer europäischer Länder. Sondern weil in diesem dünn besiedelten Land mit den 4.7 Millionen Einwohnern meist beide Eltern arbeiten. Und potenzielle Verwaltungsratskandidatinnen ihre Karriere nicht mit Kinderlosigkeit bezahlen wollen. Also hat man die Arbeitszeiten den Bedürfnissen von Familien angepasst.

«Hier», sagt Nina Solli. Sie knallt das meistgelesene Wirtschaftsblatt «Dagens Næringsliv» auf den Konferenztisch und schält sich aus ihrer Daunenjacke. «Das ist das Resultat der ‹Quota›.» Auf dem Titel der Zeitung prangt fett die Schlagzeile: «Die Familie hat Vortritt – Umfrage bei jungen Wirtschaftsführern.» Darunter ein Bild, das Trond-Morten Lindberg (33), Administrativdirektor der Treuhandfirma BDO, beim Ankleiden seiner Zwillingsmädchen in der Krippe zeigt. «Manager streiten sich heute um den Podestplatz im Papasein», sagt die Frau in einem Ton, der nicht verrät, ob sie das nun gut oder schlecht findet. Genauso, wie es unklar bleibt, ob sie persönlich gegen die «Quota» ist. Offiziell ist sie es. Muss es sein als Sprecherin des grössten norwegischen Unternehmerverbands, der sich dezidiert gegen das Gesetz ausgesprochen hatte. Deshalb sagt Nina Solli jetzt: «Revolutionen fangen im Kopf an. Mit Quoten kann man in den Köpfen nichts ändern. Man kann eine Änderung höchstens beschleunigen. Daher haben wir das Ausbildungs- und Networkingprogramm ‹Female Future› entwickelt.» Darauf ist der Verband stolz. Und Frauenförderung ist heute gut fürs Image, das hat man in den letzten sieben Jahren gelernt.

Nina Solli, sind Sie Feministin?

«Javisst!», sagt die 39-jährige Mutter zweier Töchter, «klar doch!», und guckt aus ihren grossen Augen, als habe man gefragt, ob es in diesem Glaspalast fliessend Wasser gibt. Nina Solli hat die Aufgabe gefasst, den Journalisten zu erklären, wie man in Norwegen findet, was man anderswo offenbar vergebens sucht: Frauen, die karrierewillig sind. Manager, die karrierewillige Frauen nicht übersehen. Und weil Nina Solli zwar Feministin ist, aber für einen konservativen Verband arbeitet, sagt sie: «Regel Nummer eins: Ich spreche nicht Gender, ich spreche Business! Wenn ich also im Rahmen von ‹Female Future› die Manager unserer Verbandsmitglieder dazu motiviere, ihre besten Frauen in unser Ausbildungsprogramm zu schicken, dann nehme ich nie das Wort Frauenförderung in den Mund, sondern spreche von brachliegendem Potenzial und von Diversity. Das ist die Sprache, die Manager verstehen.»

1100 Frauen haben seit 2004 das einjährige Programm «Female Future» durchlaufen, rund die Hälfte davon hat nach Ablauf von zwei Jahren einen Verwaltungsratssitz angeboten bekommen. Keine einzige Firma des Verbands hat Ende 2008 die Quote von vierzig Prozent nicht erreicht. Man findet also Frauen, wenn man sie finden will.

a ber wie kriegt man Frauen dazu, sich finden zu lassen? «Genau das», sagt Nina Solli und legt ihre PR-Tonlage nun mit der Zeitung weg, «das ist der eigentliche Knackpunkt der ‹Quota›!» Letztlich sei es nämlich einfacher, Männer zu finden, die den Frauen den Job zutrauen, als Frauen, die sich selbst einer solchen Position gewachsen fühlen. «Frauen», sagt Solli und zeigt sich auf die Stirn, als ob sie mitgemeint sei, «müssen lernen, von sich selbst als Manager zu denken. Und dann müssen sie als Manager denken lernen. Manager delegieren. Die Wäsche, den Haushalt. Manager suchen sich den Partner, mit dem sich ihre Vision umsetzen lässt.» Die zierliche Brünette macht eine lange Pause, als werweisse sie, ob der nächste Satz, der Kulminationspunkt ihrer Rede, Schweizerinnen zuzumuten sei: «Für eine Karriere braucht man den richtigen Ehemann!»

Später, beim Abschied, sagt Nina Solli, die Männer seien vielleicht der Kern des norwegischen Emanzipationsmodells. Der norwegische Mann also. Gross ist er und blond oft, meist freundlich, nie aufdringlich. Auch er ist dem Schweizer nicht unähnlich. Doch seine Rolle muss er anders definiert haben als seine mitteleuropäischen Geschlechtsgenossen. Und zwar schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Damals nämlich hat der Bildhauer Gustav Vigeland die Figuren für den Stadtpark entworfen, darunter immer wieder Männer beim Babysitten. Keine Pose, in der sich ein mitteleuropäischer Mann um 1923 hätte verewigen lassen wollen. Der neue Vater wurde in Oslo in Stein gemeisselt, als man bei uns noch unterwürfig vom Familienoberhaupt sprach.

Tatsächlich sind Kind und Mann ein häufiges Gespann in den Strassen Oslos. Jede Kinderkrippenschar, die man trifft, wird mindestens von einem Gruppenleiter begleitet, en masse schieben Väter Kinderwagen, die Züge sind beim Eindunkeln voller Männer in Begleitung von Schulkindern. Vielleicht wurde der norwegische Mann vom Staat ein klein wenig in seine aktive Familienrolle gezwungen, wie die norwegische Frau in die Berufsrolle. Dass er einen Teil des Babyurlaubs bezieht, ist nämlich Vorschrift.

Aber das Glück, das hat der norwegische Mann in der Familie gefunden. Das behauptet er zumindest. Das sagt der ehemalige Wirtschaftsminister Ansgar Gabrielsen, das sagen die jungen Leader, die in der Zeitung befragt wurden, das sagt auch Nils Øyo (43). Er sitzt vor dem Feuer in der Stube seines Reihenhauses in Bærums Verk, eine Dreiviertelstunde ausserhalb Oslos, und trinkt Tee. «Die schönste Zeit in meinem Berufsleben», sagt er, «war das Jahr, in dem ich zu Hause bei den Kindern war, an meinem Buch schrieb und meine Frau für das Einkommen sorgte.» Nach dieser Auszeit hat sich der dreifache Vater entschieden, nur noch sechzig Prozent zu arbeiten.

seine Frau macht seither Karriere. Britt Øyo (40) ist Schweizerin. Und wenn jemand weiss, wie sich die emanzipatorische Revolution im Kopf anfühlt, dann sie, die beide Kulturen kennt, in beiden Ländern gearbeitet und erlebt hat, wie Norwegen das Wort Rabenmutter langsam, aber nachhaltig aus seinem Wortschatz tilgte. «Am Anfang dachte ich, die spinnen, die Norwegerinnen, Mutter werden und voll arbeiten. Das wollte ich mir und den Kindern auf keinen Fall antun. Also war ich die ersten fünf Jahre nach der Geburt des ersten Kindes Hausfrau. Eine einsame Hausfrau, weil weit und breit die einzige.» Sie suchte sich eine Teilzeitstelle und fand den Job als Projektleiterin bei Dinamo, der renommiertesten Werbeagentur im Land. Seither arbeitet sie mehr als ihr Mann. «An der letzten Klassenzusammenkunft in Luzern habe ich realisiert, dass ich trotzdem flexibler bin als viele Teilzeit-mütter in der Schweiz. Und dass man dort noch immer abendelang darüber redet, was eine Mutter soll, kann und darf.»

Der Himmel hängt schwer über den weissen Wäldern. Im Bus zurück in die Hauptstadt sprechen die Fahrgäste über die «Quota», als handle es sich um eine unterhaltsame Anekdote; Zündstoff im Alltag bietet das Gesetz nicht mehr. Einige Passagiere drücken noch ihre Verwunderung darüber aus, dass es so was überhaupt gebraucht habe, in ihrem Land, in dem die Frauen doch immer schon die Hosen angehabt hätten. Eine bessere Erklärung für die starke Stellung der Frau haben Soziologen übrigens auch nicht: Schon zu Zeiten der Wikinger, so liest man, war die Frau respektiert. Weil es in diesem rauen Klima nur harte Arbeit gab. Für beide Geschlechter.

Trotzdem: Ganz ohne negative Presse ging die Quote nicht über die Bühne. Kritik wurde immer dann laut, wenn sich eine Frau in mehrere Verwaltungsräte setzte. Was nicht selten vorkam, da in Anbetracht der Gefahr, die Zulassung zur Börse zu verlieren, manch kleine Firma sich auf die immer gleichen Namen stützte, statt neue zu rekrutieren. Und weil pro Gremium im Schnitt 1.7 Männer gehen mussten. Besonders genussvoll mokierten sich ausländische Medien über die neue Frauenelite. Die britische «Times» monierte, einzelne «golden skirts» sässen in bis zu 35 Verwaltungsräten. Und in rechten US-Blogs hiess es, die «Boardroom Babes» seien so unerfahren, dass sie ausser ihrem Geschlecht nichts Neues einzubringen hätten. Musterschülern tritt man eben gern ans Schienbein.

Empfindlichkeiten, über die Kristin Skogen Lund nur lachen kann: «Ach, kommen Sie, in jedem dieser Länder, das die Vielfachmandate der Norwegerinnen kritisiert, sitzen Männer in mindestens so vielen Gremien.» Wer nun glaubt, dass die Frau, die das Skandinaviengeschäft von Telenor leitet, einer der am schnellsten wachsenden Kommunikationsfirmen der Welt, damit die Quoten verteidigen will, liegt falsch. Von Beginn stellte sie klar, dass sie weder eine Quotenfrau ist noch etwas von Quoten hält. «Man darf den Firmen nicht vorschreiben, wie sie ihre Verwaltungsräte zu bestücken haben», sagt sie, und man merkt, dass ihr nicht oft widersprochen wird. «Wo kommen wir denn da hin, wo hören wir auf? Bei der Haarfarbe?» Aber man dürfe deswegen nicht darüber hinwegsehen, dass Mehrfachmandate das falsche Argument gegen die Quote seien.

Kristin Skogen Lund – der Name fällt häufig, wenn man in Oslo nach weiblichen Vorbildern fragt. Zierlich ist die Frau, mädchenhaft gar. Das Gegenteil der mitteleuropäischen Idee einer feministischen Walküre. Vorbild ist sie offenbar so ungern wie Quotenfrau: Sie mag es gar nicht, wenn Menschen immer noch so tun, als sei es etwas anderes, wenn eine Frau statt eines Mannes Karriere macht. Selbst dass sie mit 43 bereits einen der prestigeträchtigsten Jobs im Land innehat und nebenher zwei Zwillingspärchen von zehn und sieben Jahren bemuttert, findet sie nicht der Rede wert. «Man kann nicht darüber hinwegsehen», leitet sie ihre Statements gern ein. Darüber etwa, dass Frauen sich gern hinter so genannten Diskriminierungen versteckten, wenn sie in Wahrheit gar nie grosse Karriere machen wollen. Oder dass alle immer so tun, als habe ein Chef viel mehr zu tun als ein Untergebener. «Das stimmt einfach nicht», sagt sie und lässt sich in den Bürostuhl fallen. «Man muss entscheiden, ja, aber dafür darf man auch delegieren!» Sie selbst jedenfalls arbeite heute nicht mehr als früher. Sie habe einfach lernen müssen, dass man nicht mit jedem Dossier so vertraut sein kann wie mit dem eigenen Nachwuchs. Dafür sucht man kompetente Mitarbeiter.

Und da ist noch etwas, über das man nicht hinwegsehen sollte: dass Emanzipation nicht immer und für alle pures Glück bedeute. Denn mit der Emanzipation sei der Druck auf die Frauen gestiegen, sich ausserhalb der eigenen Wände zu verwirklichen. «Hausfrauen gehören in diesem Land nicht einer respektierten Berufsgattung an.» Zu Unrecht, wie sie findet.

Der positive Effekt der «Quota», fasst die Managerin zusammen und schaut auf die Uhr, «ist der Denkprozess, den sie ausgelöst hat. In den letzten Jahren ist viel über Präsenzzeiten und Familienmuster diskutiert worden. Und die Verwaltungsräte besetzt man heute vorsichtiger.» Um Punkt vier beendet Kristin Skogen Lund das Gespräch, freundlich, aber bestimmt. Sie muss heim zu den Zwillingen. Die Antwort auf die Frage, ob sie Feministin sei, liefert sie per E-Mail nach: «Nicht mehr wirklich», schreibt sie. So, wie man sich von einer Haltung distanziert, die man sich in der Pubertät geleistet hatte.

Der Musterschülerin Norwegen geht es wie dieser Frau: Sie hat den Feminismus nicht mehr nötig.




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