Nicole Althaus
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Martin Suter – Annabelle 2/08
Annabelle 2/08 
Text: Nicole Althaus 
Fotos: Alexander Sauer
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«Ich bin gern mit meinen Figuren zusammen»

Ein Frauenakt des Schweizer Malers Félix Vallotton spielt Schicksal im neuen Buch von Martin Suter. Der Bestsellerautor über Kunst, Können und das späte Vaterglück.

annabelle: Martin Suter, Ihr neuer Roman «Der letzte Weynfeldt» ist Ihren beiden Adoptivkindern Ana und Antonio gewidmet. Kommen Sie überhaupt noch zum Schreiben?

Martin Suter: Einen grossen Teil des Buchs habe ich ja geschrieben, als die beiden schon bei uns waren. Allerdings war dies nur möglich, weil meine Frau die Kinder tagsüber versorgt hat. Dafür habe ich jeweils den Nachtdienst übernommen. Die Umstellung ist schon eine radikale. Alles ist neu, und vor allem ist alles ganz anders, als man es sich vorgestellt hat.

Sie leben auf Ibiza, schreiben in Guatemala, und Ihr Verlag ist in Zürich. Wo wachsen die Kinder auf?

Im Moment noch an allen drei Orten. Sie sind jetzt 16 Monate alt und sind bisher mit dem Pendeln gut zurechtgekommen. Wenn sie aber in die Schule kommen, müssen wir uns für einen Wohnsitz entscheiden.  Ana und Antonio sind zurzeit in Zürich?

Ja, während der Promotion meines neuen Romans. Und es gefällt ihnen hier. Toni hat vor kurzem seine ersten Schritte gemacht, und Ana hat sich zum ersten Mal im Spiegel wiedererkannt. Ich bin in einem Zustand permanenter Verliebtheit und sehr glücklich, dass mein Beruf es mir erlaubt, viel Zeit mit den Kindern zu verbringen.

Sie haben sich spät für die Vaterschaft entschieden.

Meine Frau und ich waren nicht kinderlos, weil wir keine Kinder wollten. Aber man gewöhnt sich an die Vorstellung eines Lebens ohne Nachwuchs. Als wir in Guatemala mit den vielen Kindern unseres Umfelds in Kontakt kamen, hat sich dieses Selbstverständnis langsam verändert. Die Adoption war kein spontaner Entscheid, sondern ein langwieriger Prozess, gedanklich und administrativ.  Hat die Vaterrolle auch den Schriftsteller Suter verändert?

Durchaus möglich. Jedenfalls habe ich in den letzten Monaten an einer Erzählung gearbeitet, auf deren Stoff ich ohne Ana und Antonio nie gekommen wäre. Zu Ende geschrieben habe ich sie allerdings nicht. Sie ist, glaub ich, nicht gut.

Woran erkennen Sie das?

Zweifel habe ich immer. Aber es ist sicher kein gutes Zeichen, wenn ich mich zwingen muss, daran zu arbeiten.

Sie freuen sich ansonsten immer aufs Schreiben?

Ja. Ich schreibe gern. Es drängt mich geradezu an die Arbeit, weil ich wissen möchte, wie die Geschichte sich entwickelt. Ausserdem bin ich gerne mit meinen Romanfiguren zusammen. Sie interessieren mich.

Adrian Weynfeldt, der Protagonist Ihres neuen Romans, ist Mitte fünfzig, Junggeselle, stammt aus einer grossbürgerlichen Familie und ist Kunstexperte. Was interessierte Sie an ihm am meisten?

Mir gefällt die Figur des Experten, des hoch qualifizierten Berufsmanns. Er hätte auch Spezialist für internationales Recht sein können. Doch im Kunstmilieu gibt es diese Kreise, die einen betuchten Mann zu ihrem Freund machen, ihn ausnutzen und sich gleichzeitig ein wenig für ihn genieren. Eine spannende Anlage, finde ich.

Der gegenwärtige Kunstboom war also nicht ausschlaggebend?

Nein. Das Kunstmilieu ist lediglich ein attraktives Umfeld, das den Lebensstandard der Hauptfigur, sein Benehmen und Handeln verständlich macht. Ich wusste im Übrigen auch nicht, dass es einen Vallotton-Boom geben würde. Ich habe einfach ein Bild eines Schweizer Künstlers gesucht, das zur Geschichte passt, und bin auf diesen Akt gestossen.  Mussten Sie sich den Kunstliebhaber und Experten anrecherchieren?

Kunstliebhaber bin ich selber. In meinem Freundeskreis hat es immer Künstler gegeben, ich hatte genug Anschauungsmaterial. Aber um Weynfeldt als Kunstexperten glaubwürdig agieren zu lassen, brauchte es schon einiges an Recherche.

Haben Sie zu diesem Zweck in Auktionshäusern angeheuert?

Nein. Das meiste habe ich mir im Internet oder in Büchern angelesen. Am Schluss habe ich den Roman Hans-Peter Keller, dem Experten für Schweizer Kunst bei Christie’s, vorgelegt, um sicherzugehen, dass alles plausibel ist. Ich finde nichts ärgerlicher, als wenn ich in einem Buch auf unglaubwürdige Details stosse.

Sammeln Sie selber Kunst?

Das kann ich mir leider nicht leisten.

Sie würden es also gern tun?

Es ist ein faszinierendes Hobby, wenn man viel Geld hat. Als ich vor kurzem in einer Auktion sass, hat es mich schon in den Fingern gejuckt mitzubieten. Versteigert wurde ein kleinformatiges Bild eines mir unbekannten Künstlers. Ich hatte jedoch keine Bietnummer.

Für welchen Schweizer Künstler würden Sie ein Vermögen liegen lassen?

Für Fischli/Weiss

Was hängt bei Ihnen zu Hause?

Die meisten Bilder, die ich besitze, sind von Künstlern, die ich persönlich kenne. So entsteht auch meine Beziehung zu den Bildern. Es gibt Kunst, die ich ohne diese Beziehung schlicht nicht verstehe.

Wer definiert, was Kunst ist?

Ausschlaggebend sind letztlich ein paar Experten und der Markt. Die Mechanismen sind nicht immer durchschaubar.  In Ihrem neuen Roman gibt es einen Filmemacher, der nicht über das Projektstadium hinauskommt, einen Architekten, der sich mit kleineren Umbauten begnügen muss, einen Maler, der meisterhaft kopiert. Warum so viele Möchtegernkünstler?

Scheitern macht eine Figur mindestens so interessant wie Reüssieren. Ich habe mich bei diesen Figuren jedenfalls ziemlich zu Hause gefühlt.

Weil Sie sich selber auch als Autor bescheiden, statt sich Künstler zu nennen?

Ich definiere mich als Berufsschreiber und will über den handwerklichen Teil meiner Arbeit auch reden können. Die Bezeichnung Künstler mystifiziert meiner Meinung nach den kreativen Prozess. Zudem führe ich nicht das Leben, das man unter einem Künstlerleben subsumiert.

Was für ein Leben führen Sie denn?

Mir war die materielle Seite des Lebens immer wichtig. Zwar habe ich bereits mit 16 beschlossen, dass ich Romanautor werde, habe aber sehr lange gebraucht, um diesen Entschluss umzusetzen. Und zwar deshalb, weil ich mir nie vorstellen konnte, mein Leben in einer Dachkammer zu verbringen und am Tropf der Pro Helvetia zu hängen. Ich wollte mir etwas leisten können, deshalb meine früheren Rückfälle in die Werbung. Ich gestehe aber, dass ich Leute bewundere, die sich schon in jungen Jahren konsequent als Künstler verstanden haben und niemals Bauernschränke bemalt hätten, um Geld zu verdienen. Mein Weg war das nicht.

Alle bisherigen suterschen Romanfiguren kommen von ihrem Weg ab, kippen regelrecht aus ihrem Leben. Adrian Weynfeldts Wirklichkeit verrutscht sehr viel subtiler und ganz ohne Einfluss von Krankheiten oder Drogen. Suchen Sie Neuland?

Auch in «Der letzte Weynfeldt» geht es um Identität, um die Spannung zwischen dem, der man ist, und dem, der man auch noch sein könnte. Insofern habe ich mit dem Roman kein Neuland betreten. Aber vielleicht habe ich mich mehr mit dem Innenleben des Protagonisten befasst als bei einigen meiner anderen Romane.

Wer hat den Roman zuerst gelesen?

Meine Frau. Wie immer. Und die paar Tage, die sie jeweils braucht, um das neue Manuskript zu lesen, sind furchtbar. Da bin ich schon dankbar, wenn sie sagt: Fängt gut an.

Bisher landete jedes Ihrer Bücher auf der Bestsellerliste. Etwas Sicherheit werden Sie sich doch inzwischen erschrieben haben.  Es gibt genug Beispiele von Autoren, die plötzlich die Gunst der Leser verloren haben. Manchmal ist deren Reaktion auf Figuren schon sehr überraschend.

Zum Beispiel?

Bei «Lila, Lila» hatten mir einige Leserinnen gesagt, der Held sei ihnen auf den Wecker gegangen, weil er ein Warmduscher sei. Ich fiel aus allen Wolken. Das hat wohl mit mir zu tun. Mir sind Warmduscher lieber als Kaltduscher.  Viele Leser vermissen die Warm- und Kaltduscher aus Ihrer «Business Class»-Kolumne. Vermissen Sie sie auch?

Nein. Ehrlich gesagt nicht. Die Kolumne war 15 Jahre Teil meines Lebens. Ich habe ihr viel zu verdanken. Übung in Struktur, Dramaturgie und Dialogen. Und nicht zuletzt ein regelmässiges Einkommen. Aber vermissen tue ich sie nicht.

Warum haben Sie aufgehört?

Ana und Antonio sind sicher ein Grund. Aber ich wollte auch aufhören, bevor die Tomaten fliegen. Jetzt habe ich noch immer eine Ideenliste, aber keine Kolumne mehr.

Haben Sie auch eine Ideenliste für die nächsten Romane?

Nein, eine Liste habe ich nicht. Aber ich überlege mir schon, welche Themen ich für den nächsten Roman verwenden könnte.

Wie entscheiden Sie?

Da gehe ich jeweils ganz altmodisch vor. Wie damals in der Werbung. Ich schreibe vier, fünf Ideen auf und verfolge die beste weiter. Dazu verfasse ich kleine Dialoge, Gespräche mit mir selbst, um den Denkvorgang zu strukturieren. Am Schluss steht im besten Fall ein kleines «Ja». Und so mache ich es dann.

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