Nicole Althaus
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Slimane
Zeitschrift: Facts 6/ 2006
Text: Nicole Althaus
Fotografien: Dukas
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«Mode soll erziehen»

Kleider müssen weder bequem noch günstig sein - nicht einmal modisch: Hedi Slimane, Designer von Dior Homme und Wunderkind der Branche, über die Trends der Saison, seine Angst vor dem Business und die heimliche Lust an Frauenröcken.

Facts: Hedi Slimane, Sie gelten als Superstar der Modeszene. Ihretwegen sind Röhrchenjeans ein Muss und Jacketts schmal. Was tragen wir in Zukunft?

Hedi Slimane: Jeans, ein Kleid, Hemd, Shirt, Mantel. Die Elemente ändern sich nicht. Doch der Umgang mit ihnen wird lockerer. Die Damenmode pflegt seit je einen spielerischen Umgang mit ihrem Formenrepertoire. In der Männermode hat das Spiel erst gerade begonnen.

Facts: Letzte Woche schickten Sie Männer in der modernen Version des Fracks über den Laufsteg. Ist das Fortschritt?

Slimane: Es geht mir darum, Seh- und Traggewohnheiten in der Mode zu verändern. Mode ist sozial codiert. Ein Frack oder Anzug steht für Autorität und Status. Ich will das Vokabular der Männermode von diesen Assoziationen befreien.

Facts: Seither kaufen Frauen bei Dior Homme ein und tragen Hedi Slimane.

Slimane: Die Frauen haben das Spiel schon immer beherrscht. Aber auch die Männer sind heute besser gekleidet als auch schon. Die Casual-Manie ist vorüber.

Facts: Bequem sieht Ihre neue Kollektion tatsächlich nicht aus.

Slimane: Wer sagt denn, dass Mode bequem sein muss? Ich habe immer gegen die Komfortzone in der Mode gekämpft. Komfort ist meiner Meinung nach eine Entschuldigung für schlechtes Handwerk. Kleider müssen perfekt sitzen, Komfort ist nur ein Teilaspekt. Genau wie bei einem Luxusauto.

Facts: Mode soll die Menschen erziehen?

Slimane: Ja. Ich wünsche mir tatsächlich, dass ich die Männer dazu bewegen kann, sich zu kultivieren. Meine Kleider verlangen eine gewisse Haltung. Ich interessiere mich nicht für den kosmetischen Effekt von Mode, ich interessiere mich für das, was sie hinter der Oberfläche bewirkt.

Facts: Und das wäre?

Slimane: Eine Frau muss mein Jackett anders knöpfen, als sie es gewohnt ist, ein Mann muss sich darin anders bewegen. Mit gutem Design kann man neue Erfahrungen machen.

Facts: Jean Paul Gaultier hat unter dem Label «Gaultier hoch zwei» erstmals Männer und Frauen in den gleichen Kleidern über den Laufsteg geschickt. Verliert die Mode ihr Geschlecht?

Slimane: Nein, das glaube ich nicht. Kleider verlieren nicht ihr Geschlecht, aber sie definieren es auch nicht. Mode hat für mich gar nicht so viel mit körperlicher Präsenz zu tun als vielmehr mit einer geistigen Haltung. Frauen, die Dior Homme tragen, denken ähnlich wie Männer, denen meine Schnitte gefallen. Beide sind in ihrer Haltung verbunden, nicht durch ihr Geschlecht getrennt.

Facts: Sie gelten als Pionier im Niederreissen von Geschlechtergrenzen. Sind Sie der Wegbereiter der neuen Unisex-Linien?

Slimane: Bewusst wollte ich die Geschlechtergrenzen nie verwischen. Ich persönlich habe einfach keine klare Vorstellung davon, was weiblich ist, was männlich. Meine Mode ist eine Übersetzung dieses undefinierten Unterschieds.

Facts: Wann gibt es die erste Slimane-Kollektion für Frauen?

Slimane: Das weiss ich nicht. Ich plane nicht in die Zukunft.

Facts: Aber es reizt Sie?

Slimane: O ja! Ich würde gerne Röcke und Kleider schneidern.

Facts: Warum tun Sie es denn nicht?

Slimane: Ich bin einfach sehr vorsichtig. Ich will nicht in ein System geraten, das mich zwingt, meine Arbeitsweise zu ändern. Für mich ist Mode nur ein Teil des Ganzen. Ich will die Musik zur Show wählen, ich will das Set gestalten und die Models auf der Strasse suchen. Ich habe einfach panische Angst davor, meine Freiheit zu verlieren.

Facts: Sie scheinen kein Freund des Fashion Business zu sein.

Slimane: Ich fühle mich der Couture-Kunst mehr verpflichtet als einer Marke. Eine Haltung, die nicht in jeder Firma Platz hat.

Facts: Ganz frei sind Sie wohl auch bei Dior nicht.

Slimane: Nein. Ich bin natürlich der Tradition des Hauses verpflichtet. Aber die Männermode war ein unbeschriebenes Blatt, als ich bei Dior anfing.

Facts: Dior hat seine Verkäufe 2005 um 11,4 Prozent steigern können. Nicht zuletzt, wie der Konzern versichert, dank Ihrer Linie. Wie viel Kreativität opferten Sie dem kommerziellen Erfolg?

Slimane: Mode verkauft sich nur gut, wenn sie überzeugt. Das ist die Grundregel des Business. Ich nutze meine Kreativität innerhalb dieser Regel. Mir geht es nicht um Tabubrüche. Meine neue Kollektion ist sozusagen eine Hommage an die hohe Schneiderkunst.

Facts: Die Haute Couture hat aber in letzter Zeit in der Mode nichts mehr zu bestellen. Es sind Billigketten wie H&M oder Topshop, die Schlagzeilen machen.

Slimane: Ja. Eine Entwicklung, die mich sehr skeptisch macht. Gerade mit H&M habe ich Probleme.

Facts: Welche denn?

Slimane: Ich will nicht ins Detail gehen. Nur so viel: Kreativität darf man nicht einfach entführen.

Facts: Kopiert wird doch heute überall.

Slimane: Vielleicht. Aber nicht so direkt. Ich habe absolut nichts dagegen, wenn sich ein Teenager auf dem Flohmarkt den Slimane-Look zusammensucht. Man muss weder zu Dior Homme gehen noch einen billigen Abklatsch kaufen, um sich meine Mode anzueignen.

Facts: Sie halten also nichts von Designern, die für Billigketten entwerfen?

Slimane: Nein. Karl Lagerfeld ist die Ausnahme. Er hat längst bewiesen, dass keiner den Kanon der Schneiderkunst besser beherrscht als er. Für ihn war das Ganze eine witzige Übung. Aber die anderen täuschen die Kundschaft.

Facts: Ein hartes Urteil.

Slimane: Vielleicht bin ich einfach altmodisch. Ich liebe luxuriöse Kleider, und ich weiss, dass diese ihren Preis haben. Couture hat für mich eine Seele. Die will ich erhalten. In der Massenproduktion aber geht sie verloren.

Facts: Demokratisiert die Hochzeit von Billig- und Luxusmode wenigstens den guten Geschmack?

Slimane: Ich glaube nicht an den guten Geschmack. Es gibt für mich nur individuellen Stil. Es dauert lange, bis man seinen Stil gefunden hat. Stil ist kein Fertigprodukt.

Facts: Ihre körperbetonten Schnitte haben die Looks der letzten Jahre geprägt. Doch jetzt hat die Konkurrenz den Zweireiher und die Kastenjacke aus der Versenkung geholt ...

Slimane: Es interessiert mich nicht, was die Konkurrenz macht.

Facts: Es interessiert Sie nicht, wenn die Slimane-Silhouette out ist?

Slimane: Ich glaube nicht, dass eine Silhouette so schnell veraltet. Die Power-Silhouette der Achtziger etwa dominierte ein ganzes Jahrzehnt. Aber Formen kommen und gehen. Es ist mir lieber, meine Kleider fallen aus der Mode, weil sie so sehr in ihrer Zeit verhaftet waren, als dass sich später niemand daran erinnert.

Facts: Sie teilen also das Rock-'n'-Roll- Credo von Neil Young: «It's better to burn out than to fade away»?

Slimane: Ja. Das heisst, ich teile nicht den Eskapismus, den man damit verbinden könnte. Aber die Haltung, die dahinter steckt: Was immer man tut, sollte man aus dem richtigen Grund und mit ganzem Herzen tun. Ob man dabei ausbrennt, ist wohl Schicksal.

Facts: Sie haben Mick Jagger eingekleidet, David Bowie, Franz Ferdinand, Pete Doherty. Diktiert die Mode heute, wie der Rock 'n' Roll daherkommt?

Slimane: Nein. Die Mode hat sich immer parallel zum Rock entwickelt. Denken sie an Ozzie Clark, den Designer aus den Siebzigern, und Mick Jagger, Vivienne Westwood und die Sex Pistols. Die Mode adaptiert die Haltung, den Stil des Rocks.

Facts: Die Mode liebt die Rock-Attitüde, doch wenn Kate Moss kokst, schreit das Business auf.

Slimane: Die Mode missbraucht den Rock als ästhetische Hülle. Dahinter kann ich nicht mehr stehen.

FACTS: Aber Sie waren doch der Wegbereiter dieses Trends.

Slimane: Ich habe mich für die Wiedergeburt des Rock interessiert, nicht nur für den damit verbundenen Glamour. Pete Doherty oder Franz Ferdinand waren damals No-Names. Doch mittlerweile hat sogar die Werbung sich die Rock-Attitüde einverleibt. Deshalb halte ich mich heute da raus.

Facts: Sie liessen sich in Paris nach Ihrer Show nicht feiern. Sind Sie tatsächlich so schüchtern?

Slimane: Nein. Aber ich stehe nicht gern im Mittelpunkt. Das war schon als Kind so. Auf dem Pausenhof stand ich immer abseits und beobachtete meine Mitschüler. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich lebe in der Beobachter-Perspektive.

FACTS: Verpasst man so nicht das Leben?

Slimane: Es ist eine Wahl, die man für sein Leben trifft. Ich partizipiere an der Welt von ihrem Rand aus. Ich brauche diese Distanz.

Facts: Haben Sie Angst, von etwas vereinnahmt zu werden?

Slimane: Ja, ich sehe die Gefahr hinter jeder Tür. Ich muss aufpassen, dass mich nichts auffrisst.

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