Nicole Althaus
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Dessous für den Kinder-Popo – FACTS 44/2006
FACTS 44/ 2006 
Text: Nicole Althaus
Foto: Teresa Salerno
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Dessous für den Kinder-Popo

Die Mode macht aus kleinen Mädchen kleine Vamps. Nicole Althaus über die Zwangserotisierung unserer Kinder.

Meine Tochter wünscht sich einen Rock. Einen ganz normalen Rock. Das ist, nur zur Erinnerung, ein Kleidungsstück, welches sich ein Mädchen über den Kopf streift... und fertig. Ein praktisches Kleidungsstück also, das nirgends drückt oder einengt und anständig ausschaut. Ein Kleidungsstück, das Mädchen früherer Generationen durch ihre ganze Kindheit begleitet hat.

Nun, für die Mädchen von heute ist die Kindheit offenbar zu Ende, sobald sie aus der Kleidergrösse 128 hinausgewachsen sind: also ungefähr mit sieben oder acht. In diesem Alter besuchen Mädchen die erste oder zweite Primarschulklasse und sind in der Werbesprache der Textilkette H&M reif für die Young-Kollektion. Und in der gibt es keinen Rock mehr, sondern Rock 'n' Roll: Mini-Jupes, in denen sich meine Tochter nicht bücken kann, ohne den Hintern zu entblössen; Shirts, die ihr oben von der Achsel rutschen und unten knapp den Bauch bedecken; Hosen, die auf den Po festgegurtet werden müssen, weil sie auf ihren schmalen Mädchenhüften nicht sitzen können. Und selbstverständlich gibts ab Grösse 134 in den meisten Kindergeschäften Leggins und Röhrenjeans, wie Kate Moss sie spazieren führt. Die werden dann, so das Modediktat, in Lackstiefel gestopft, deren Sohlen so dünn sind, dass man auf ihnen vielleicht in einem Londoner Klub den ersten Schnee reinziehen könnte, aber auf keinen Fall in den ersten Schnee rausziehen kann.

Genau das aber will meine Tochter. Sie ist nämlich weder frühreif noch altklug. Sie ist eine ganz normale Siebenjährige. In diesem Alter, das nur zur Erinnerung, haben Mädchen Zahnlücken, bauen gern Schneemänner und lernen lesen. Auf dem Shirt, das in der Kinderabteilung von Zara in ihrer Grösse am Bügel hängt, kann sie buchstabieren: sweet & dangerous. Das ist in Zeiten von schulischem Frühenglisch höchstens gefährlich, aber alles andere als süss.

Eindeutig geschmacklos wird es, wenn die Bekleidungsindustrie den Mädchen an die Wäsche geht: C&A etwa bietet ein geblümtes Höschen mit Spitzen für Siebenjährige feil, an dem hinten kaum mehr Stoff dran ist als vorne. Diese dezente Variante des Strings heisst im Modejargon Hot Briefs, weil sie den Po nicht bedecken, sondern entblössen. Das ist, mit Verlaub, nun wirklich keine Kinder-Unterhose, sondern ein Dessous für Minderjährige, das vielleicht ein Pädophiler wie Vladimir Nabokovs Humbert Humbert seiner Lolita gekauft hätte.

Bustier-Set in Grösse 104 Den Kinderstring - das Wort gehört ab sofort auf den Index – gibts im Internet bereits für Zehnjährige. Letztes Jahr konnte man ihn beim Neckermann-Versand gar für Vierjährige ordern. Wegen der Pro- teste von erbosten Eltern hat das Haus ihn aus dem Angebot gestrichen. Viel gelernt aber haben die Verantwortlichen daraus nicht: Nach wie vor im Katalog aufgeführt ist ein 14-teiliges Bustier-Set. Ab Grösse 104. Das passt einem Menschlein, das etwa einen Meter gross ist. So gross also wie meine Zweitgeborene. Sie ist drei Jahre alt, trägt seit dem Sommer keine Windeln mehr und weiss seit kurzem, dass sie niemals ein Papa werden kann. Mädchen in ihrem Alter, auch das bloss zur Erinnerung, brauchen kein Bustier. Weil sie keine Brüste haben. Weil sie Kinder sind.

Es ist schlimm genug, wenn sich heute 35-jährige Frauen wie Teenager in Hüft-Jeans der Grösse 36 zwängen und dem Modediktat nichts als die nächste Hungerkur entgegenzusetzen haben. Tragisch aber ist es, wenn Mädchen, kaum sind sie schulreif, zu kleinen Erwachsenen stilisiert werden. Die textile Zwangserotisierung unserer Mädchen beraubt sie nicht nur ihrer Würde, sondern der Kindheit schlechthin. Höschen für Siebenjährige von C&A: Hinten so knapp wie vorn.